KPMG – Ein Unternehmen und seine Bilder

Erfahrungen mit der Firmenzeitschrift „Trends“

 

Mario Damolin

 

Neun Jahre Arbeit – zusammen mit Moderne Reklame – an einer Firmenzeitschrift eines weltweit agierenden Unternehmens aus der Wirtschaftsprüfer- und Beraterbranche, und neun Jahre die immergleiche Frage: Welche Bilder nehmen wir? Welche Metaphern entsprechen dem selbstgewählten Image, der vielbeschworenen Corporate Culture oder, noch moderner, der Visual Identity des Kunden? Neun Jahre das Thema: Welche Bilder hat das Unternehmen von den Dingen um sich herum, und vor allem: Welche Bilder hat das Unternehmen von sich selbst?

 

Offensichtlich herrscht in vielen Unternehmen ein gravierender Mangel an Bildern: man scheint zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und dieser Mangel an Bildern ist hauptsächlich gespeist durch den fehlenden Umgang mit ihnen. Man hat zwar Begriffe dafür, wie man sich selbst bezeichnen würde, aber die Umsetzung in Bilder fehlt zumeist. Etwa: ein seriöses Unternehmen, ein junges und modernes Unternehmen, ein innovatives Unternehmen, ein führendes Unternehmen – alles schön und recht, aber welche Bilder können solche Aussagen auch illustrieren? Gerade im Bereich des tertiären Sektors der Wirtschaft, wo keine Hochöfen glimmen und Schlote rauchen, wo der Unternehmenszweck sich nicht sofort in einem (öffentlich zugänglichen) Bild aufdrängt, sondern quasi im Geheimen oder in Art von „Geheimzeichen“ manifestiert – etwa in den Kurven einer Bilanz, in Tabellen oder Schaubildern von Umsatzentwicklungen, in den Korrekturhaken der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater -,  gerade dort scheint das Problem mit dem Finden von Bildern weit verbreitet.

 

Und hier war auch der Ansatzpunkt für uns Externe, mit „unverstelltem“ Blick, zusammen mit den Mitarbeitern der zuständigen Abteilung „Zentralstelle Kommunikation“ (im Mitarbeiterjargon auch kurz: ZK!) – neben den Textinformationen – die „Bilderwelt“ des Unternehmens neu zu gestalten. Eine Arbeit mit zum Teil überraschenden „Einsichten“ und Ergebnissen. Die erste Erfahrung: entgegen der zum Teil doch sehr vielfältigen und sich in alle Branchen der Wirtschaft erstreckenden Tätigkeitsbereiche, sind die Bildervorstellungen der Mitarbeiter, die in ihrer Firmenzeitschrift darüber berichten sollen, seltsam uniform. Zumeist wollte man seinen Artikel mit selbstgemachten Fotos garniert sehen, die die immergleichen Themen und Blickwinkel hatten: am häufigsten Gruppenfotos um den Schreibtisch, vor Eingangstüren oder an Messeständen. Wichtig schien hierbei nicht das Bild, sondern die Bildunterschrift: daß also jeder abgebildete Mitarbeiter auch ja erwähnt und richtig geschrieben wurde.

 

Diese Mentalität des betrieblichen Familienfotos, die übrigens ins fast allen Firmenzeitschriften zu finden ist, konnte in der längerfristigen Zusammenarbeit nach und nach aufgebrochen werden, und manche Mitarbeiter/Autoren entwickelten in der Folge äußerst interessante und witzige Bildvorschläge. Etwa der Unternehmensberater im Multi-Media-Bereich, der sich selbst als multi-mediales Objekt ablichten ließ; oder der Wirtschaftsprüfer eines Farben- und Lackbetriebs, der sich den Maleroverall über den Nadelstreifenanzug stülpte, um die Nähe seiner Arbeit zu der des Mandanten zu demonstrieren; oder die drei Berater eines Telekommunikationsunternehmens, die auf ihrem Foto aussehen (beabsichtigt oder unbeabsichtigt), als ob sie Reklame für eine New-Wave-Musikgruppe mit 50er-Jahre-Appeal machen würden; oder der Prüfer eines Motorrad-Unternehmens, der sich in zünftiger Leder-Kluft mit der schwersten Maschine seines Mandanten im postmodernen Foyer der Firmenzentrale abbilden ließ – in der Art eines professionellen Fotomodells. Wichtig war, die Mitarbeiter immer wieder neu zu motivieren, ihr eigenes Bild und damit das ihres Unternehmens zu zeichnen.

 

Am interessantesten waren jedoch die Diskussionen um die Titelbilder zu den einzelnen Schwerpunktthemen, weil in ihnen das Bild, das das Unternehmen von bestimmten wirtschaftlichen und auch politischen Inhalten hatte, haben sollte, am sichtbarsten wurde. Das Titelbild wurde sozusagen als ästhetisch-mentales Programm angesehen, mit dem die Corporate Culture des Unternehmens dokumentiert werden sollte. Bei diesen Diskussionen ergab sich nicht selten, daß dem Selbstbild des Unternehmens aber oft etwas von dem fehlt, was den Blick von außen als erstes ausmacht: eben jene Distanz zum eigenen Tun, jene vielleicht ironische Selbstreflektion, jene quertreibende (Selbst-)Betrachtung, die als Diskussionsangebot auch in das Unternehmen hinein wahrgenommen werden kann. Und vielleicht auch manchmal der Mut, bildhafte Experimente zu wagen.

 

Die Diskussionen zeigten aber auch, daß gut vorbereitete und begründete Bildvorschläge, seien sie auch auf den ersten Blick für die Verantwortlichen des Firmenmagazins unorthodox und ungewohnt, eine positive Resonanz – ja regelrechte Begeisterung – hervorrufen konnten. Begeisterung deswegen, weil es gelang, im Bild die immense Komplexität wirtschaftlicher Zusammenhänge entweder auf eine manchmal einfache oder nicht selten auch irritierend zweideutige Symbolik zu reduzieren: etwa zum Thema „Frauen in Prüfung und Beratung“ der selbstgehäkelte Hundertmarkschein; oder zum Thema „Kosten der deutschen Wiedervereinigung“: der schwarz-rot-goldene Bleistift als Symbol für „rote“ und „schwarze“ Zahlen; oder zum Thema „Umweltschutz als Beratungsleistung“: der mit Wasser und zwei Goldfischen gefüllte, durchsichtige Aktenkoffer; oder die Metapher für die Zukunft der Prüfer- und Beraterbranche in Form einer 3-D-Brille.

 

Neun Jahre Arbeit an einem Firmenmagazin haben gezeigt, daß der „Hunger nach Bildern“ bei Unternehmen gleichbleibend groß ist, und ebenso die Bereitschaft, sich mit intelligenten und unkonventionellen Bildlösungen zu beschäftigen. Es war für beide Seiten ein Lernprozeß, vor allem aber für das Unternehmen, das erfahren hat, daß der „Mut zum Bild“ sich letzten Endes in überzeugenden Darstellungen materialisiert – und somit die Corporate Culture positiv mitprägen kann. Eines aber sollte am Ende betont werden: nur wenn die von außen in Unternehmen eingebrachten Bildvorschläge selbst mutig sind, sich dem Mainstream und der Beliebigkeit verweigern, entsteht die Chance, eine konstruktive Kommunikation über den Umgang mit Bildern zu beginnen.

 

unveröffentlicht: Mario Damolin für Moderne Reklame, 2000